Wo mag das sein? (folgt)
13. Februar 2011
24. September 2009
Ein Leben im Jenseits
Die Frohe Kunde ereilt uns im Aufmacher des Chefredakteurs: „Darin macht Laschet sich stark für eine ‚kluge Steuerung der Zuwanderung‘ mit Hilfe eines Punktesystems, in dem Qualifikation und die Aussicht, ein selbstbestimmtes Leben jenseits der deutschen Sozialsysteme führen zu können, Maßstab werden für die Einwanderungserlaubnis.“ Damit ist nach den vielen jenseitigen Vorkommnissen endlich klar: Es gibt auch ein Leben im Jenseits!
Und es gibt noch mehr Überraschungen, nämlich „diejenigen, die in Zuwanderer-Stadtteilen wirklich leben, statt aus sicherer Entfernung ihren Theorien nachzuhängen“, wie man nach dem Umblättern im Leitartikel lesen kann. Ich stelle mir das insgesamt etwas schwierig vor, das Nachhängen aus sicherer Entfernung, selbst wenn es nur bei Theorien ist.
25. Juli 2009
Zweimal Jenseits und zurück
Dass sich das Jenseits in der WAZ steigender Beliebtheit erfreut, durften wir schon mehrfach dokumentieren.
Heute haben wir es gleich doppelt, in beiden Kommentaren auf der Seite 2. Im oberen steht: „Doch jenseits des üblichen, reflexhaften politischen Gezänks um Rücktrittsforderungen …“
Und in dem darunter: „Prägend ist ein Menschenschlag, dem schon beim Aufstieg in den Parteigremien das Denken und Handeln jenseits des Mittelmaßes ausgetrieben wurde.“ Jenseits des Gezänks und jenseits des Mittelmaßes – wo mag das bloß sein?
Ein weiterer Ausdruck, der in letzter Zeit immer wieder gerne genommen wird, ist die „geordnete Insolvenz“. Die haben wir heute gleich dreimal. Einmal im Bericht über unseren smarten Wirtschaftsminister auf der Politik-Seite und dann noch zweimal auf der Wirtschaftsseite, in der Unterzeile und im Artikel: „FDP-Mann Pfeil für eine geordnete Insolvenz“. Leider hat uns noch keiner gesagt, was man sich darunter vorstellen darf und ob es vielleicht auch irgendwo die ungeordnete Insolvenz gibt. Möglicherweise im Jenseits.
10. Juni 2009
Jenseits von Schule und Studium ist der Bonus der Kanzlerin
„Ich versauere hier!“ Diesen Ausruf kann man oft von Leuten hören, die sich z.B. in einem Provinznest entsetzlich langweilen. Dass sich wohl auch Gewässer langweilen können, steht heute im Kommentar auf der Seite 2 zum Klimawandel: „Die Eisschmelze in der Arktis, das Auftauen der Permafrostböden, das Versauern der Meere.“ Nun, ja.
Sodann haben wir wieder einmal eine Begegnung mit dem Jenseits. Auf der Rhein-Ruhr-Seite finden sich die Worte: Ein Motto, das auch für Menschen jenseits von Schule und Studium gilt.“ Ja, und was ist mit den armen Menschen diesseits von Schule und Studium? Und wo ist das überhaupt?
Da hat der SPD-Kanzlerkandidat laut Politik-Seite ein ganz anderes Problem: „Gegen den Bonus der Kanzlerin kommt er einfach nicht an.“ Da hier nicht der Kanzler-Bonus gemeint ist (mit dem man der Vorteil des Amtsinhabers bei Wahlen bezeichnet), was mag da denn gemeint sein? War die Kanzlerin vielleicht nebenberuflich bei einer Bank beschäftigt?
16. März 2009
Jenseits aller Schuldfragen Schauspieler zuschneiden
Auf der Seite 2 schlägt mal wieder die Universalpräposition über – pardon! – zu: „Enttäuschung über mangelnde Unterstützung“.
Und in einem weitere Artikel hat sich Horst Seehofer „an der Unruhe in der Union maßgeblich beteiligt…“ Nächstes Mal, so hoffen wir, beteiligt er sich an der Ruhe.
Auf der Politik-Seite gibt es Neues vom Jenseits: „Er stehe zu dem, was geschehen sei – jenseits aller Schuldfragen.“
Auf der Kulturseite schließlich hat Daniel Craig „die richtige Schneidigkeit für die Rolle“ (des 007), und weil wir schonmal beim Schneiden sind, war Connery „lange Zeit unzufrieden damit … nur auf diese Rolle zugeschnitten zu werden.“ Das überrascht uns ein wenig, denn bisher kannten wir nur Rollen, die Schauspielern auf den Leib geschnitten wurden. Offenbar geht es neuerdings auch andersherum. Vermutlich allerdings nur jenseits normaler Filme.
13. Januar 2009
Das Jenseits wird immer beliebter
Es gibt Sprachdummheiten, die sich wie Viren in der Sprache ausbreiten. Wenn irgend jemand etwas Blödes sagt oder schreibt, und es kommt nur einigermaßen klugschwätzerisch daher, dann gibt es mit Sicherheit genügend Leute (meist Journalisten), die es weiter verbreiten. Und gerade bei der WAZ ist man natürlich äußerst anfällig für jeglichen sprachlichen Unsinn. Das neueste Beispiel ist das Jenseits.
So lesen wir z.B. heute auf der Seite 2, „dass Koch jede Koalition jenseits von Schwarz-Gelb ausschließt“. Und diesseits davon? Ist das besser? Und was soll das überhaupt heißen?
Alles ist plötzlich irgendwie „jenseits“ von irgendwas, wenn man es ausschließen möchte. Roland Koch seinerzeit hoffte „jenseits der Tatsache“, und seitdem gibt es eine Menge Nachahmer. Aber vielleicht hatte er das ja schon irgendwo aufgeschnappt.
Für mich ist das jedenfalls alles jenseits von Gut und Böse.
18. Januar 2015
Befeuern und unterfüttern
„Rot-Grün regiert in Düsseldorf fast unheimlich harmonisch, Schwarz-Grün ist nicht ansatzweise inhaltlich unterfüttert“ (Montag, 12. Januar 2015, Politik). Früher mussten Argumente untermauert werden, bis irgendwer anfing, sie zu unterfüttern. Und heute kann man offensichtlich unterfüttern, was man will.
„Sie unterstützt die parteilose Kandidatin der Grünen … und befeuert nebenbei schwarz-grüne Gedankenspiele“ (ebd.) Und wenn man alles unterfüttern kann, warum soll man nicht auch alles befeuern, was man früher mühselig anheizen musste – selbst wenn es Gedankenspiele sind?
„Der liberale CDU-Oppostionsführer Laschet könnte zwar glaubwürdig für Bündnisoptionen jenseits der siechen FDP werben …“ (ebd.). Eine Opposition in der CDU? Mit eigenem Führer? Das kann ja nur im Jenseits sein …
*
„… geht hier offenbar so leicht keine rechten Rattenfängern auf den Leim“ (Dienstag, 13. Januar 2015, Tagesthema). So problematisch das Bild vom Rattenfänger an sich schon ist, muss er jetzt auch noch unbedingt mit Leim arbeiten?
23. Mai 2009
Das deutsche Eishockey trauert, während der Fön föhnt
Geht das? Nun, ja, es gibt auch den „deutschen Fußball.“ Und der erlebt z.B. Sternstunden. Aber kann man deshalb schreiben, was heute in einer kleinen Meldung auf der Titelseite steht: „Das deutsche Eishockey trauert um den ehemaligen Nationaltorwart“? Eher nicht!
In der Spalte daneben spricht unser Bundespräsident über die „Eltern des Grundgesetzes“. Nun ist unser Staatsoberhaupt ja für eine gewisse Schlichtheit der Rede bekannt, aber aus den „Vätern des Grundgesetzes“ (wie man den Parlamentarischen Rat gerne nennt), zu denen sich später zwecks Gleichberechtigung auch die „Mütter“ gesellten, nun „Eltern“ zu machen, ist ein kleines bisschen verwegen.
Noch drei Spalten weiter rechts „wird die Zafira-Produktion (WAZ v. 14. 5.) ) im Ruhrgebiet Bochum konzentriert …“ Und was macht da das Ruhrgebiet Essen? Oder das Ruhrgebiet Dortmund? Und das Ruhrgebiet Rest? Sich über die doppelte Klammer wundern, oder was :-))
Nach dem Umblättern kann man im oberen Kommentar noch ein bisschen mehr über unseren Bundespräsidenten erfahren: “ … den erlernten Neoliberalismus hat er längst zu Gunsten einer mittelinken Grundmelodie abgelegt.“ Interessant, nur leider passt hier gar nichts zusammen. Wie kann man Neoliberalismus erlernen? Wie ihn zugunsten einer Melodie ablegen? Was ist eine Grundmelodie? Und eine mittelinke gar?
Im Kommentar darunter haben wir es endlich einmal nicht mit dem Jenseits zu tun: „Diesseits des Spekulativen ist eines klarer denn je …“ Das ist natürlich genauso bescheuert, weil es weder diesseits noch jenseits des Spekulativen irgendetwas gibt, das klarer denn je sein könnte. Aber außerhalb dessen gibt es eine ganze Menge.
„Erst müsse der Mutterkonzern GM entscheiden, wem es den Zuschlag gebe, erläuterte ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums“ auf der Wirtschaftsseite, und drei Absätze weiter „wollen Gläubiger von GM den vorgeschlagenen Umtausch ihrer Schulden in Unternehmensteile ablehnen“, was ich gut verstehen kann, weil ich an ihrer Stelle auch lieber Anteile hätten als irgendwelche obskuren Teile. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass sie ihre Schulden in Anteile umtauschen können; es dürfte sich eher um ihre Forderungen handeln, da es den Hauptunterschied zwischen Gläubigern und Schuldnern ausmacht, dass die einen Forderungen eintreiben, hingegen die anderen Schulden begleichen.
Auf der „Gesellschafts“-Seite „verha-
(neue Zeile) spelt“ sich Heidi Klum und die Polizeibehörden haben einen Verdächtigen „lokal-
(neue Zeile) isiert“.
Trennungen sind eben nicht leicht. Vielleicht hält man daher auch so an der alten Rechtschreibung fest. Auf der „Wissen“-Seite prangt eine fette Headline: „Fönen, schrauben, puzzeln“, im Artikel darunter wird gefragt: „Was macht der Fön auf dem SPD-Plakat?“ Zumal es seit der Rechtschreibreform der Föhn ist, der dort föhnt.
9. April 2009
Die Mehrheit als Einzelkämpfer, der Onkel als Marienkäfer, Merkel als Mensch und alle an der Bad Bank dran
Heute gibt es eine Doppelausgabe. Vermutlich sind deshalb auch doppelt so viele Fehler drin, man kommt kaum nach. Beginnen wir mit der Titelseite: „Die Mehrheit der deutschen Mütter und Väter fühlt sich heute als Einzelkämpfer.“ Die Mehrheit als Einzelkämpfer, das ist in sich schon ein kleines bisschen widersprüchlich, aber wollen wir wirklich so kleinlich sein und auf einer eleganteren Formulierung bestehen? Ich denke schon.
Ein bisschen eleganter könnte es auch auf der Rhein-Ruhr-Seite sein: „Der erste Trauerfall war ein Marienkäfer. Er fand den Tod im Blumenbeet und seine letzte Ruhe hinter dem Kindergarten, aber richtig tragisch war das alles nicht: Denn die Kinder haben den Käfer nicht gekannt. ‚Wenn man einen kennt, ist es viel schlimmer‘, sagt Maurice.
Maurice kannte einmal einen, das war sein Onkel …“
Doch bevor wir uns von dem Schock erholen können, dass der arme Maurice der Neffe eines Marienkäfers ist, müssen wir das Folgende zur Kenntnis nehmen: „Das Grab haben die Kinder selbst angelegt, es war der feierliche Abschluss eines Projekts: ‚Kinder, Tod und Lebensfreude‘ haben die Dortmunder Friedhofsgärtner es genannt, die wirklich finden, dass diese Drei zusammengehören, sogar müssen.“ Komisch, warum muss ich jetzt zuallererst an „Kinder, Tod und Teufel“ denken? Und warum finden die Dortmunder Friedhofsgärtner es „wirklich“? Und was sind „diese Drei“, groß geschrieben? Und warum sind es überhaupt nur drei, da doch schon die Kinder mindestens zwei sein müssen?
Diese Fragen müssen wohl offen bleiben, denn „‚Wir erklären den Familien, wie Tod geht‘, sagt Martin Struck, dem sein Beruf den Humor nicht ausgetrieben hat, aber er meint das ganz ernst …“ Hoppla! Was ist jetzt los? Wir erklären, wie Tod geht? Und das meinen wir ernst, obwohl wir Humor haben? Oder wie? Ich würde das nicht mal ernst meinen, wenn ich keinen Humor hätte.
Aber dieser Friedhofsgärtner hat ja auch schon einiges erlebt: „Struck hat seinen Vater früh verloren und die kalte Hand seines Opas noch anfassen dürfen, und er hat all diese Kinder gesehen, mit denen er inzwischen über das Sterben geredet hat: so viele Fragen, aber niemals Tränen und gar keine Angst.“ Und das alles in einem Atemzug! In dem hat er seinen Vater früh verloren und dabei die kalte Hand des Opas anfassen dürfen. Kurz danach hat er Kinder gesehen und viele Fragen gehabt, aber keine Tränen und keine Angst, oder habe ich das falsch verstanden? Hölle, Tod und Teufel!
Kaum zu glauben, aber „auch den Erzieherinnen hat das gefallen: dass ihre Schützlinge begreifen, dass Schmerz manchmal sein muss, aber vergeht, und auch, dass Tod nicht toll ist. Es gab da nämlich ein paar, sagt Waltraud Piechaczyk, ‚die spielten etwas zu oft Totschlagen und Totschießen‘, aber auch die sind ganz still geworden, als das nun ernst wurde.“ Als was nun ernst wurde? Das Totschlagen und Totschießen? Ging es etwa Onkel Marienkäfer an den Kragen? Oder war hier erneut die kalte Hand des Opas im Spiel?
Auch das werden wir nie erfahren, darum schlagen wir die Politik-Seite auf und lesen die Headline: „Merkels Menschwerdung“. Prompt kommt mir ein Aufsatz von Friedrich Engels in den Sinn: „Der Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“.
Doch bevor wir jetzt weiter gackern, lesen wir erst einmal: „Ende Februar breitete sich in den Medien die Einschätzung aus …“ Wie breitet sich eine Einschätzung aus, so wie ein Ölteppich?
Aber lesen wir weiter: „Im März konnte man etwas über Merkels Strategie zur persönlichen Krisenbewältigung lernen: Menschwerdung. Statt große Reden zu halten oder Machtworte auszuteilen, absolvierte die Kanzlerin vier Wochen lang jenseits des Tagesgeschäfts ungezählte Gespräche mit Kritikern und viele Termine vor sorgfältig ausgewähltem Publikum.“ Also: Die Menschwerdung (des Affen? Gacker!) ist eine Strategie zur persönlichen Krisenbewältigung. Anschließend werden Machtworte ausgeteilt, die allerdings normalerweise gesprochen werden und dann landen wir schon wieder im Jenseits. Warum eigentlich kann man nicht schreiben, dass die Kanzlerin abseits vom Tagesgeschäft Gespräche führte? Ist das Jenseits so attraktiv geworden, dass man es in jedem dritten WAZ-Artikel bemühen muss?
„‚Ich bin dann immer mehr in die Bredouille gekommen‘, schilderte Merkel“, was nicht weiter verwundert, da sie eh nicht als besondere rhetorische Leuchte bekannt ist, denn sonst wäre sie in dieselbe geraten. Leider redet sie noch weiter: „Ich habe mich in der Beweisführung immer weiter verstrickt, dass schon alles ein gutes Ende nehmen wird.“ Und ich versuche, mich jetzt nicht in der Beweisführung zu verstricken, dass das eigentlich gar kein Satz ist. Zumindest kein verständlicher.
Möglicherweise ist das alles aber auch nur Bestandteil ihrer „Charmoffensive“, wie in der Bildunterschrift zu lesen ist.
Und die hängt vermutlich mit Folgendem zusammen: „Gerade die Angriffe der SPD bringen einen Wesenskern von Merkels Selbstverteidigungsstrategie zum Vorschein. Sie wehrt sich nicht.“ Da muss man erst mal drauf kommen!
Und auch diese Headline auf der Wirtschaftsseite ist einen Tusch wert: „Bund mit Hochdruck an Bad Bank dran“! Und jetzt sind Sie dran. Aber an was und mit welchem Druck?
Auf der Sport(titel-)seite erfahren wir, „dass mit Lucio, van Daniel van Buyten, Miroslav Klose und dem noch kurzfristig ausgefallenen Philipp Lahm vier wichtige Spieler fehlten…“.
Und wem diese merkwürdige Doppelung noch nicht ausreicht, der wird im nächsten Absatz belohnt, denn „ein paar Stunden vor Anpfiff hatte Klinsmann noch versucht, einen letzten Reizpunkt zu setzen, als er sich für Hans-Jörg Butt im Tor entschied und nicht für den etatmäßigen Stammkeeper Michael Rensing“.
Da wir weder wissen, was ein Reizpunkt ist, noch, wie er gesetzt wird, noch, was ein etatmäßiger Keeper ist, sollte uns auch das Folgende nicht überraschen: „Das Spiel im vor 93 210 Zuschauern im Nou Camp hatte begonnen …“
Und „dass es kurz darauf nicht schon 3:0 stand für Barcelona (Komma fehlt!) hatten die Bayern in erster Linie Schiedsrichter Howard Webb zu verdanken… “ und kann uns nun auch nicht mehr aufregen. Was ist schon ein fehlendes Komma angesichts einer Schiedsrichter-Fehlentscheidung?
Wenden wir uns daher lieber dem nebenstehenden Kommentar zu, der uns berichtet, „dass Franz Beckenbauer trotz des Ruheverdikts der Führungs-Weggefährten bereits den Säbel in der Hand hält“, anstatt mit ihm zu rasseln, wie man es von diesem Sprachbild erwartet. Doch vielleicht will er ja mit dem Säbel Onkel Marienkäfer auflauern und ihm so erklären, wie Tod geht und nicht toll ist? Ich fürchte nur, dass er dadurch in die Bredouille kommt, seine Menschwerdung verpasst, während er die kalte Hand des Opas ergreift und dadurch einen letzten Reizpunkt setzt. Und das wäre doch schade, oder?
10. Februar 2009
Die Heimsuchung
„Wenn Michael Glos an diesem Dienstag in die Freiheit entlassen wird, hat die Republik ein politisches Abenteuer erlitten, dessen Ausmaß womöglich nicht absehbar ist“, müssen wir heute im Kommentar auf Seite 2 lesen. Vor allem ist nicht absehbar, was die Sprache dadurch erleidet, denn Abenteuer werden normalerweise erlebt und nicht erlitten. Indes kann man durchaus einen Herzanfall oder ein Schädel-Hirntrauma erleiden, doch was eine Republik so alles erleiden kann, entzieht sich momentan leider meiner Kenntnis, nur: ein Abenteuer kann es nicht sein.
Ein paar Zeilen weiter lesen wir von „staunenden Weltgästen“ und staunen selbst, was das für merkwürdige Besucher sein sollen, weil es dieses Wort bisher noch gar nicht gab.
Dafür haben wir dann im nächsten Absatz das hier: „Die Welt wird sich nicht lange mit dem Gedanken aufhalten, dass es in Deutschland zugehe wie in einem Käfig voller Narren. Die Union aber schon.“ Wenn wir das einmal übersetzten, dann heißt das, dass sich die CDU lange mit dem Gedanken aufhalten wird, dass es in Deutschland zugeht wie in einem Käfig voller Narren. Was soll uns das sagen? Eigentlich irgendwie … nichts.
Aber vielleicht sagt uns der daneben stehende Artikel mehr. Denn hier stehen solche Formulierungen wie diese: „München: CSU-Chef Horst Seehofer schildert vor Kameras mit sichtbar wachsendem Vergnügen an der Absurdität der Ereignisse, wie absurd diese sich tatsächlich ereignet haben. Samstag, er, Seehofer auf der Münchner Sicherheitskonferenz.“ Ist das Deutsch? Ist das überhaupt irgendeine Sprache?
Und dann kommt die Heimsuchung: „Ich habe die Faxe persönlich heimgesucht”, soll Seehofer gesagt haben. Kann ich mir nicht vorstellen.
Kurz danach haben wir sie wieder, „die Parteien jenseits der Union…“ Dieses Jenseits, das seinerzeit der gute Hessen-Koch beschworen hat und das seitdem alle WAZ-Redakteure irgendwie gut finden. Was es aber nicht besser macht.
Und jenseits von dem Jenseits heißt der ganze Satz: „Die Parteien jenseits der Union sind sich ausnahmsweise derart einig in der Kritik an Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel, dass man die Äußerungen ebenfalls ausnahmsweise in einem Atemzug zusammenfassen darf…“
Darf man nicht! Auch nicht ausnahmsweise. Man darf höchstens etwas in einem Atemzug nennen. Von „Zusammenfassen“ weiß diese Redensart nix.
Gegen Ende des Artikel haben wir dann noch einige Formulierungen, die ich jetzt ohne weiteren Kommentar wiedergebe, auf dass Sie selbst entscheiden, ob man so etwas ungestraft schreiben darf: „,Sie müssen sich die Situation vorstellen.‘ Zwei Generäle zum Gespräch. Sicherheitskonferenz. Kurz vor dem Empfang des Ministerpräsidenten für 500 hochrangige Gäste. ,Dann hab ich den Michel Glos erreicht.‘ Lage geschildert. Kann Wunsch nicht entsprechen. ,Da ist die ganze Welt in der Residenz versammelt.‘ In dieser Situation. ,Des kann i net entsprechen.‘ Um halb drei nach Hause. Morgens früh angefangen zu telefonieren. Inzwischen alles gut. Sehr offenes Gespräch mit Glos geführt. ,Ich habe nicht den geringsten Groll.'“
Ich will Sie ja nicht beeinflussen: Aber das Lallen eines total betrunkenen Bierkutschers finde ich verständlicher.
Eigentlich reicht das für heute, und zwar „nicht erst, seitdem im Januar der mutmaßliche Missbrauch eines Häftlings durch seine beiden Zellengenossen öffentlich hoch gekocht ist“, wie auf der „Rhein-Ruhr“-Seite zu lesen ist. Echt interessant, was man alles so hochkochen kann, sogar Missbräuche. Und auch noch öffentlich!
Irgendwie fällt es mir schwer, das alles in einem Atemzug zusammen zu fassen, vielleicht so: Ich. Gelesen, alles. Die Absurdität absurd gefunden. Alles heimgesucht und hochgekocht.
8. November 2008
Hochkarätigste Unerträglichkeit ramponiert den Vertrauensvorrat in Politikergräben
Die Seite 2 hat es mal wieder in sich. Hier finden wir im Artikel über „Obamas Dreamteam“ einen überraschenden Superlativ: „In Washington dreht sich das hochkarätigste Personalkarussell“. Wie steigert man hochkarätig? Zugegeben: „höherkarätig“ bzw. „höchstkarätig“ klingt auch doof. Aber muss man deshalb gleich zu einem Neologismus greifen? Vielleicht sollte man hier einfach mal nicht steigern, weder „hoch“ noch „karätig“, denn ich wüsste nicht mal von Gold, dass es hoch-, höher oder am höchstkarätigsten wäre.
Man möchte fast mit den Worten des ersten Kommentators sagen: „diese hessischen Verhältnisse näherten sich der Unerträglichkeit“. Das finde ich auch! Zumal, wenn dann noch formuliert wird: „… eine Große Koalition hätte … den Vertrauensvorrat der SPD noch mehr ramponiert.“ Denn eine Vertrauensvorschuss wird aufgebraucht, indes ein Ansehen ramponiert, aber bei der WAZ kann man das natürlich vereinfachen und zu einem Ausdruck zusammen ziehen.
Ähnlich ist es mit den „geifernden SPD Kontrahenten“, womit vermutlich keine Kontrahenten der SPD (wie der Ausdruck nahelegt), sondern entsprechende innerhalb der Partei gemeint sind, denn der nächste Satz lautet: „Was sich derzeit zwischen den Lagern der Ypsilanti-Getreuen und dem Umfeld der Abweichler an Gift und Galle abspielt“, was aber wiederum Blödsinn ist, denn Gift und Galle spielt sich nicht ab, sondern wird gespuckt (auch wenn es unappetitlicher sein sollte).
Und wenn ich den letzte Satz lese, hätte ich sogar Lust dazu: „Aber zum Ansehen einer Partei … gereicht es in gar keinem Fall.“ Denn wenn etwas gereicht, dann normalerweise zur Ehre, zum Ansehen könnte es allenfalls reichen.
Leider ist der andere Kommentar auf der Seite auch nicht besser. Der beginnt mit dem Satz: „Man liest viel über die Erwartungen, die Barack Obama in der Welt geweckt hat, immer mit der Frage unterlegt, ob er diese wird erfüllen können.“ Nachdem man es sich gestern noch „jenseits der Frage“ schwer getan hat, wird heute was mit einer Frage unterlegt …
Aber es kommt noch schlimmer: „Politiker aller Parteien klettern aus ihren Gräben …“ und, nachdem sie einige Zeit draußen waren, „müssen Bundesbürger zusehen, wie die einheimischen Politiker wieder in ihre Parteigräben steigen, um sich von dort aus gegenseitig mit Forderungen und Kritik zu bewerfen.“ He, das ist wirklich witzig! An so manchem WAZ-Kommentator ist wahrhaft ein Komiker verloren gegangen. Da klettern die erst aus den Gräben, in die sie anschließend wieder steigen, und fangen dort an, sich gegenseitig zu bewerfen. Und nicht etwa mit Schmutz oder Erdklumpen. Sondern mit Forderungen und Kritik. Da sage noch einer, unsere Politiker seien unfähig!
Oder gar: „In der Bundesrepublik sinkt das Interesse an Politik in Erdnähe!“ Leider wird das aber gesagt. Und zwar im selben Kommentar, eine Zeile weiter. Und was soll die arme Politik nun machen, wo das Interesse an ihr in Erdnähe sinkt? (Vermutlich wegen der Anziehungskraft der Erde.) Sich in höhere Sphären begeben? Auf den Mond ausweichen? Oder lieber versuchen, das Interesse auf Erdnähe zu bringen? Klingt aber auch nicht besonders überzeugend …
Aber vielleicht das hier: „Obamas Worte sind bislang nur Worte, und noch stellt der künftige Präsident eine Projektionsfläche dar. Aber diese Projektionsfläche zieht Sehnsüchte an, die keiner Nationalität unterworfen sind.“ Das kann ja auch gar nicht gehen, denn ich kenne eigentlich keine Sehnsüchte, die irgendeiner Nationalität unterworfen sind. Ganz zu schweigen von einer Projektionsfläche, die Sehsüchte anzieht.
Dabei wären „in diesen geldgierigen armen Zeiten … viele Deutsche womöglich schon froh, wenn sie überhaupt eine Projektionsfläche hätten“, heißt es weiter. Warum? Weil sie diese dann verkaufen könnten? Und seit wann sind arme Zeiten geldgierig? Oder geldgierige Zeiten arm? Und was soll das alles überhaupt heißen?
Aber jetzt „starren“ die Deutschen auf „Leinwände, auf denen Politiker über Erbschaftssteuer, Linkspartei und all die kleinen Schrauben sprechen, an denen sie eines Tages drehen werden …“ Da wäre ich doch jetzt richtig froh, wenn ich jetzt eine Projektionsfläche hätte, die mir zeigen könnte, was die Erbschaftssteuer mit der Linkspartei und kleinen Schrauben zu tun hat! Aber wo ist das Ding hin? Vermutlich verhökert! Und zwar von armen geldgierigen Zeiten!
7. November 2008
Sich um die Frage herumschleichen
Man weiß ja nicht, ob er’s wirklich so gesagt hat, der Helmut an de Meulen, Vorsitzender des Vereins Pro Ruhrgebiet. Zumindest wird er in der WAZ von Donnerstag auf der „Rhein-Ruhr“-Seite so zitiert: „Niemand soll sich um die Frage ,Wie hältst Du’s mit der Stadt Ruhr’ herumschleichen können“.
Leider kann das ohnehin niemand. Man kann sich herumtreiben, oder um etwas herumschleichen, vielleicht kann man sogar sich schleichen, (was im Österreichischen soviel heißt wie abhauen), alles andere ist ziemlicher Humbug, und gemeint war wohl eher, dass sich niemand um die Beantwortung dieser Frage drücken können soll. Insofern hat der Vorsitzende sein Meulen ein bisschen überstrapaziert (wenn man mir bitte diesen Kalauer verzeihen möge), ansonsten war es ein schöner Satz.
Was man von diesem hier auf der Politik-Seite nicht unbedingt behaupten darf: „Jenseits der Frage – Wieso Ulf aus Deutschland? – tut man sich schwer mit der Vorstellung …“ Wieso jenseits? Warum nicht diesseits? (Ich vermute, der Autor hat diese unsinnige Formulierung im Koch-Interview gelesen, und sie scheint ihm auch noch gefallen zu haben!) Warum nicht ober- oder unterhalb der Frage?
Und im Artikel darunter „haben die Vereinigten Staaten ihre Obsession mit der Verschiedenheit und Unvereinbarkeit der Rassen abgelegt, sie entwickeln sich zu einer halbwegs farbenblinden Nation.“ Den ein bisschen konstruierten Zusammenhang zwischen Hautfarbe und Farbenblindheit könnte man vielleicht noch verzeihen, aber wie ist man halbwegs farbenblind?
Auch der nächste Satz ist nicht besser: „Dazu hat der Kandidat Barack Obama erheblich beigetragen – indem er selbst nicht dem Stereotyp gehorchte, das weiße Wähler über schwarze Politiker pflegen.“ Denn auch hier ist die Universalpräposition „über“ mal wieder völlig fehl am Platz, weil man ein Stereotyp von einer Erscheinung pflegt, mal abgesehen davon, dass ich nicht weiß, wie man ihm gehorchen sollte, wenn man ihm schon nicht entspricht.
Und gegen Ende des Artikels muss man dann noch lesen, dass Obama „,cool‘ genug (war), um den kosmopolitischen Schmelztiegel zu verkörpern.“ Da wundert mich dann gar nichts mehr.
Auf der Kulturseite (Kommentar, rechte Spalte) „stehen CDU und Grüne … in der Kaufmann-Frage in Frontalstellung“. Hier kann man wieder einmal nur raten, was gemeint war. Stehen sie frontal gegeneinander oder beziehen sie frontal Stellung? Vielleicht gibt es aber auch Fronten in der Auseinandersetzung? Werden wir es je herausfinden?
Wohl kaum, denn: „Diese Essener Gemengelage lässt sich nicht durch Zahlenprüfungen allein entwirren.“ Das fürchte ich auch, denn eine Gemengelage hat in erster Linie mit Grundstücken zu tun, auch wenn dieser Begriff in letzter Zeit häufig in den Medien auftaucht, wenn von irgendeiner unübersichtlichen oder gefährlichen Mischung die Rede ist. Aber selbst die kann man nicht entwirren, dass kann man allenfalls mit Fäden oder einem Knäuel.
Und da hilft es auch nicht weiter, „den klaren organisatorischen Schnitt zu machen“, wie uns der Artikel weiter empfiehlt. Weil ich mir einen organisatorischen Schnitt nicht vorstellen kann, sei er nun klar oder unklar. Wobei ich allerdings schon froh bin, dass es diesmal keine klare Kante ist.
Zu guter Letzt haben wir dann noch ein sprachliches Kleinod auf der „Menschen“-Seite, das ich hier in weiten Teilen unkommentiert wiedergeben möchte:
„Essen. 15 Jahre. So viel liegt zwischen diesen Bilder: Zwischen Becker und Sandy Meyer-Wölden, die ex-verlobt wurde mit zwei dürren Sätzen ihres Boris. ‚Wir beide haben den Alltag nicht zusammen geschafft …‘ Der Alltag spielte sich wohl eher zwischen New York, Paris, München ab denn zwischen Waschmaschine, Berufsverkehr und Supermarkt …“
Und weiter: „Medienberater meinen ja, Becker verscherze mit seinen Frauengeschichten sein Image. Da haben die Medienberater bestimmt lange überlegt für. So einen Job möchte man mal haben.“
Wäre dem Autor dieses Artikels nur zu wünschen, denn man fragt sich: War er nur betrunken oder etwa heftig bekifft oder gar auf dem Weg nach Poona? Doch um diese Frage muss ich mich leider herumschleichen!
24. Oktober 2008
Koch ist gefährlicher als Lafontaine
Zumindest für die deutsche Sprache. Wobei er (im Interview auf der Politik-Seite mit der Überschrift: „Gefährlicher ist Lafontaine“) grammatikalisch gar nicht so sehr daneben greift, wohl aber semantisch. Beziehungsweise nicht daneben greift, sondern eigentlich nichts sagt. Zumindest nichts von Bedeutung. O.k., der Mann ist Politiker, was soll man also in dieser Hinsicht von ihm erwarten, höre ich nun etliche Stimmen. Aber kann man nicht selbst von einem Politiker ein Mindestmaß an Inhaltlichem erwarten?
Stattdessen dies: „Zweifellos schürt der gewaltige Umbruch, den wir derzeit erleben, tiefe Verunsicherung.“ Ein Feuer kann man schüren, eine tiefe Verunsicherung jedoch allenfalls erzeugen. Denn wenn man ein Feuer schürt, ist das ein bewusster Prozess, man versucht, es anzufachen. Wie das ein Umbruch tun soll, muss Herrn Kochs Geheimnis bleiben. Nebenbei ist ein Umbruch eine tiefgreifende Veränderung, dass diese dann auch noch gewaltig tiefgreifend sein soll, hört sich vielleicht gut an, sagt aber nichts aus.
Genau so wenig wie der nächste Satz : „Unsere Herausforderung ist, die Krise zu bewältigen, ohne unsere Prinzipien aufzugeben.“ Das impliziert zunächst, dass es schwierig ist, eine Krise zu bewältigen, wenn man Prinzipien hat. Wofür es aber weder Beispiel noch Beleg gibt, zumindest nennt Herr Koch nichts dergleichen. Es impliziert darüber hinaus, dass Herr Koch (bzw. nicht näher bestimmte weitere Personen, die er unter „uns“ bzw. „unsere“ subsumiert) überhaupt Prinzipien hat. Was mit Sicherheit viele bezweifeln werden. Da will ich mich mal raushalten, hätte es aber hilfreich gefunden, wenn er an der Stelle das eine oder andere Prinzip mal wenigstens benannt hätte.
„Ach! Märkte orientieren sich an staatlichen Vorgaben. Es gab schwere unternehmerische Fehler, aber auch der Staat hat versagt.“ Was will er uns nun damit sagen? Inwiefern orientieren sich Märkte an welchen staatlichen Vorgaben? Und zweifellos gab es unternehmerische Fehler, und vermutlich hat auch der Staat mal wieder versagt, aber wann, wo und wie? Da sagt er nix, der Koch, und so bleibt das Ganze eine leere Sprechblase.
Aber nun sagt er was: „Heute können wir mit großem Selbstvertrauen sagen, dass sich die soziale Marktwirtschaft außerordentlich bewährt hat.“ Klingt doch gut, oder? Wir können mit großem Selbstvertrauen sagen. Toll! Dass sich die soziale Marktwirtschaft außerordentlich bewährt hat. Wow! Sie hat sich nicht nur bewährt, sondern gar außerordentlich! Wäre ja kaum zu ertragen gewesen, wenn sie sich nur ordentlich, oder gar nur bewährt hätte!
„Ohne Markt gibt es keinen Wohlstand, aber ein Markt sollte nicht ohne Grenzen sein. Das haben wir der Welt vorgelebt.“ Wie jetzt? Plötzlich muss ein Markt Grenzen haben? Keine grenzenlosen Märkte mehr? Warum das? Und wir haben der Welt vorgelebt, dass es ohne Markt zwar keinen Wohlstand gibt, aber ein Markt Grenzen haben muss? Kann ich mich irgendwie nicht dran erinnern …
Und dann kommt ein Satz, der nicht nur leer ist, sondern völlig unverständlich: „es ist im Inhalt ein Buch, das auf dem Boden der sozialen Marktwirtschaft steht.“ Ich finde es schon schwierig, mir vorzustellen, dass ein Buch auf dem Boden von Irgendwas steht, geschweige denn auf dem Boden der sozialen Marktwirtschaft, von der ich nicht mal wusste, dass sie selbigen hat. Aber es steht da ja nicht alleine oder nur so, sondern im Inhalt. Nein, falsch: Es steht nicht im Inhalt auf dem Boden, es ist im Inhalt ein Buch, das steht. Nee, das gibt auch keinen Sinn. Vielleicht, weil das, was Herr Koch sagt, keinen Sinn hat?
Versuchen wir’s mal damit: „Aber ohne das staatliche Eingreifen wäre eine ganze Industrie gefährdet.“ Welche denn? Die Autoindustrie? Die Schwerindustrie? Die gesamte Industrie? Oder wer? Oder gar warum? Sagt er nicht.
Dafür sagt er uns, wer gefährlich ist, der Lafontaine nämlich: „weil seine Politik dauerhaft Wohlstand in Deutschland vernichten würde.“ Nun liegt es ja in der Natur der Dinge, dass, wenn etwas vernichtet wird, dies auch dauerhaft geschieht. Irgendwie ist das ja das Wesen der Vernichtung, oder? Aber wie der Lafontaine das macht, bzw. seine Politik, dass sagt uns der Koch nicht. Stattdessen sagt er: „Wir müssen die Linkspartei sehr, sehr ernst nehmen.“ Gut, nehmen wir. Und nun soll wohl so etwas folgen wie eine Begründung: „Gerade in einer so unübersichtlichen Zeit, in der viele Menschen Angst davor haben, dass sie gefährdet sind in ihrer sozialen Situation.“ Also: Normalerweise müssen wir (wer ist „wir“, die CDU, die Politiker, die Gesellschaft, oder – um mit Otto zu reden – „vier alle“?) die Linkspartei schon ernst nehmen, aber nun erst recht. Weil wir nämlich eine unübersichtliche Zeit haben. Ich will jetzt nicht fragen, was eine übersichtliche Zeit ist, sondern mich mehr mit dem Rest des Satzes beschäftigen, in dem viele Menschen Angst davor haben, dass sie gefährdet sind. Und zwar in ihrer sozialen Situation. So sehr ich auch über diese Formulierungen nachdenke, ich kann ihnen keinen Sinn entlocken. Denn entweder hat man Angst davor, dass man gefährdet sein könnte. Oder man erkennt, dass man bereits gefährdet ist. Und die Situation, die soziale zumal, fragt sich überhaupt, wie man in ihr gefährdet sein kann.
Aber vielleicht werden wir mit dem nächsten Satz schlauer: „Lafontaine, Gysi und ihr Präsidentschaftskandidat Sodann sind Rattenfänger, die versuchen, schlecht informierte Menschen durch vereinfachende und verkürzende Parolen in die Irre zu führen.“ Klappt leider nicht. Schon beim Rattenfänger beginnt das Durcheinander: Das war ja jemand, der die Ratten, welche die Stadt Hameln überschwemmten und kahl fraßen, in der Weser ertränkt und so die Stadt von diesen Schädlingen befreit hat. Jetzt haben wir laut Koch drei Rattenfänger. Und die Schädlinge, die alles kahl fressen, also die Ratten, sind die schlecht informierten Menschen? Das kann er doch nicht gemeint haben! Nein, so etwas würde ein Politiker wie Koch doch nie tun: Menschen, und seien sie noch so schlecht informiert, mit Ratten gleich zu setzen!
(Vielleicht hat er sich ja auch nur vertan, und meinte Bauernfänger? Das würde insgesamt besser passen. Aber kann ein Politiker vom Schlage Koch derartig sprachlich daneben greifen? Ich fürchte, ja: Ratten hin – Bauern her …)
Nein, nein, außerdem versuchen das ja die Rattenfänger auch nur, und zwar, indem sie „durch vereinfachende und verkürzende Parolen in die Irre … führen“. Zwar habe ich selten von Parolen gehört, die nicht verkürzend oder vereinfachend waren (ich vermute sogar fast, es ist ihr Wesen), aber Gottseidank führen die nicht in die Weser, sondern nur in die Irre! Da können die Ratten – Pardon! die schlecht informierten Menschen – ja aufatmen.
Oder doch nicht, denn „Seriöse Politik hat es schwer gegen solche gnadenlosen Populisten.“ Dass diese Populisten auch immer gleich so gnadenlos sein müssen! Wenn sie ein bisschen gnädiger wären, die Populisten, wie leicht hätte es dann die seriöse Politik!
Stattdessen kommt es noch schlimmer: „Insofern ist die Linkspartei eine Gefahr für die Zukunft Deutschlands.“ Vor allem für die deutsche Sprache, denn zunächst fragen wir uns: Inwiefern insofern? Insofern, als die Politik es schwer hat? Und dann noch eine Gefahr für die Zukunft. Heißt das, dass sie eine Gefahr darstellt, mit der wir es erst in der in Zukunft zu tun haben werden? Nein, das kann er nicht gemeint haben, dazu ist er in der Gegenwart zu aufgeregt. Also muss er gemeint haben, dass die Zukunft Deutschlands u.U. nicht eintreten kann, weil sie gefährdet ist? Aber das ist doch kompletter Blödsinn, und so etwas wird ein Politiker, ein Alphatier vom Schlage eines Koch nie im Leben gesagt haben wollen. Aber was hat er dann gesagt, wenn es nicht wieder eine leere Sprechblase sein soll?
„Aber wir müssen die Auseinandersetzung mit ihr offensiv führen.“ Jetzt hätte er auch sagen können: „Wir müssen uns offensiv mit ihr auseinandersetzen.“ Nur wäre das wohl nicht so ober-wichtig daher gekommen. Auseinandersetzen ist eines Politikers nicht würdig. Eine Auseinandersetzung zu führen, und zwar offensiv, schon eher!
Leider ist das Interview noch nicht zu Ende. Und in der Online-Ausgabe sagt Herr Koch dann auch noch: „Jenseits der Tatsache, dass ich natürlich hoffe, dass Horst Köhler mit einem guten Ergebnis wiedergewählt wird, ist es skandalös, dass die Linkspartei einen Herrn Sodann mit seinen Sprüchen gegen zwei respektable Persönlichkeiten wie Bundespräsident Köhler und Frau Schwan stellt.“ Warum enthält man solche klugen Äußerungen den WAZ-Lesern vor? Formulierungen wie: „Jenseits der Tatsache“ sind doch reine Lyrik! Und Tatsache ist, dass Herr Koch hofft, bzw. natürlich hofft (andere verhüten höchstens mal natürlich). Das muss doch mal gesagt werden! Und dass es jenseits dieser Tatsache überhaupt noch was gibt, muss uns zu denken geben. Nämlich einen Skandal. Der darin besteht, dass eine Partei ihr Recht wahrnimmt, einen Kandidaten aufzustellen.
Als rein sprachorientierter Beobachter einer großen Tageszeitung versage ich mir an dieser Stelle jegliche Kommentare zum Demokratieverständnis eines hessischen CDU-Politikers und beschäftige mich lieber mit seiner nächsten Äußerung: „Wir sollten maßvoll Impulse geben, um ein allzu scharfes Absacken der Konjunktur zu vermeiden.“ Auch diese findet sich nur in der Online-Ausgabe, vermutlich, weil sich selbst bei der WAZ niemand etwas unter einem scharfen Absacken vorstellen kann. Wie wäre es mit einem harten (wird auch immer wieder gerne genommen)? Bloß kein kräftiges oder starkes, bitte, das wäre geradezu mutlos!
Und wo führt sowas hin? „Steinmeier hat bislang nicht den Mut, das Spiel von Frau Ypsilanti zu beenden. Dann wird er dafür mit seiner Partei bitter bezahlen.“ Wann dann? Und wie bezahlt man bitter? Das müssen wir dringend wissen, denn „ich hoffe, dass am Ende nicht auch Deutschland dafür bezahlen wird.“ Und gar noch mit sauer verdientem Geld. Ich weiß nicht, warum, aber hier kommt mir ein Vers von Erich Kästner in der Sinn, den er in seiner Schildbürger-Nacherzählung einem Bürgermeisterkandidaten in den Mund legt: „Ich bin ein Bürger und kein Bauer, und mache mir das Leben bitter!“ Und ein anderer reimt daraufhin: „Ich bin ein Bürger und kein Ritter, und mache mir das Leben sauer!“ Bittersehr!
Eigentlich reicht es ja für heute, aber auf derselben Seite im Artikel über die Liberalen steht noch ein Satz, zu dem ich mir einen Kommentar nicht verkneifen kann: „Der 68-jährige zeichnete die Zukunft Deutschlands schwarz.“
Man kann für die Zukunft schwarz sehen, vielleicht auch ein düsteres Bild von der Zukunft malen, aber dieselbe schwarz zeichnen … Warum muss man so etwas lesen? Manchmal fühle ich mich sooo müde!
12. September 2008
Nur wer sich nicht auf dem Status Quo festbetoniert hat, kann dem Tod von der Schippe rutschen
Wieder ist es der Kommentar auf Seite 2, der unsere Aufmerksamkeit fesselt: „Es ist schon bemerkenswert (Komma vergessen!! – d. Verf.) mit welcher Kraft und Eintracht Verdi, SPD, Sparkassenchefs und Kommunen gegen Änderungen am Sparkassengesetz in NRW anrennen. Diese Mobilisierung … ist … jenseits der Grenze des Seriösen angelangt.“ Wie kann eine Mobilisierung jenseits irgendeiner Grenze anlangen? Und wo ist die Grenze des Seriösen? Jedenfalls nicht bei der WAZ: „Schon das Konstrukt, das den Privatisierungspopanz hält, ist zurechtgebogen.“ Aha. Ein zurechtgebogenes Konstrukt hält einen Popanz. „Und deshalb betonieren sich die Funktionäre auf dem Status Quo fest.“ Sich auf irgendetwas fest zu betonieren, dürfte schon nicht ganz einfach sein, aber auf dem Status Quo?
Da ist es doch schon viel einfacher, was ein Immobilienmakler im Essener Lokalteil auf der Seite „Menscheln“ – Verzeihung: „Menschen“ unternahm: „Er wurde fristlos rausgeschmissen, schrammte zweimal an einer Insolvenz vorbei und rutschte dem Tod bei einem Motorradunfall von der Schippe.“ Ist das nicht toll? Nach dem Rausschmiss noch zweimal schrammen und dann dem Tod von der Schippe rutschen! Das muss ihm erstmal einer nachmachen! Zumal man ja normalerweise dem Tod von der Schippe springt. Aber das war dem armen Makler wohl nach dem ganzen Schmeißen und Schrammen und während des Unfalls einfach egal, und er dachte: Hauptsache, weg von der Schippe, das ist doch gerutscht wie gesprungen…