Wir haben heute ein reichliches Pensum vor uns, da unsere Kanzlerin interviewt wurde, die ja immer für kuriose Formulierungen gut ist. Außerdem scheinen ihr einige Autoren nacheifern zu wollen, und so hat die heutige Ausgabe viel Interessantes zu bieten.
Also wollen wir uns erst gar nicht lange damit aufhalten, dass der thüringische Ministerpräsident „als Getriebener“ aus seinem Amt geht, wie wir im Titelseiten-Kommentar lesen können. Zumal wir diesen Unsinn bereits an anderer Stelle ausführlich besprochen haben.
Im Seite-2-Kommentar ist die Rede von einem Urteil, das „sich liest wie eine schallende Ohrfeige“.
Und im Leitartikel darunter erfahren wir: „Der Wasserverbrauch derer, die jetzt ihre Hände in Unschuld waschen, ist enorm.“
Der nebenstehende Artikel verwirrt uns mit folgender Aussage: „Nicht nur die CDU/FDP-Opposition zieht in Zweifel, dass Sierau vom Haushaltsloch nichts gewusst haben will.“ Denn was wollen wir jetzt in Zweifel ziehen? Dass Zierau nichts gewusst hat oder dass er gesagt hat, nichts davon gewusst zu haben?
Aber all das wollen wir nur der Vollständigkeit halber hier wiedergeben. Denn das erste Highlight folgt auf der Rhein-Ruhr-Seite: „Vier kleine Ganoven lehrten zwei großen Gangstern das Fürchten.“ Da fragt man sich höchstens, wer den WAZ-Leuten Deutsch gelernt hat.
Und dann endlich spricht SIE, auf die wir nun schon so lange gewartet haben, die uns schon auf der Titelseite angekündigt wurde: Unser Kanzlerin, die große Politikerin, die mit über 60 % Zustimmung regiert, die anerkannte Rhetorikerin, das Vorbild der Jugend. Und, wie immer, wenn sie spricht, gelingen ihr klare und treffende Aussagen, Formulierungen von großer sprachlichen Schönheit, Worte voller Klarheit und Eleganz. Worte wie diese: „… kann man von den äußeren Umständen so sagen“ (auf die Frage bzw. Feststellung, dass sie eine abgeschottete Existenz führe).
Oder diese im nächsten Absatz: „Kann man so sagen“.
Aber auch das hier ist nicht schlecht: „Leider war vor der Krise der internationale Konsens über die Dringlichkeit des Handelns noch nicht da.“ Der Konsens über die Dringlichkeit des Handelns! Famos!
„Der G20-Gipfel in Pittsburgh Ende September wird konkrete weitere Schritte bringen“, erklärt SIE weiter mit der ihr eigenen Lässigkeit im Umgang mit dem passenden Verb, die Sie auch bei der nächsten Frage ins Spiel bringt: „Dann sollen Banken Staaten nicht länger wegen ihrer hohen systemischen Bedeutung zur Hilfe pressen können.“
Den schönsten Satz finden wir aber im Interview-Teil zur Atomkraft: „Das wäre ein Signal für die Leistungsträger, die den Karren aus der Krise ziehen.“ Wen stört es da, dass man den Karren allenfalls aus dem Dreck zieht, wer mag da kleinlich Kritik üben?
(Außer mir, natürlich.)
Auch wenn wir, wie die Kanzlerin sagt, „international nicht mehr mit dem gleichen Gewicht mitreden“.
Das macht nämlich nix, denn: „Ich will zudem die ergebnisoffene Erkundung von Gorleben als Endlager für Atommüll weiterführen. Am Ende der Erkundung muss, unter Einbindung internationaler Experten, die Eignung entschieden werden.“
Da soll noch einer sagen, Politiker reden unverständlich! Es ist uns doch nun endlich klar, wann eine Eignung entschieden werden kann: Am Ende einer Erkundung, aber nur, wenn diese ergebnisoffen geführt wird. Selbstverständlich unter Einbindung internationaler Experten! Vorher wussten wir nicht einmal, das Eignungen überhaupt entschieden werden können! Ob unter Einbindung nationaler oder internationaler Experten oder gar gänzlich ohne sie.
Manchmal hat man den Eindruck, als gingen Politiker davon aus, man müsse nur bestimmte Stichworte wie „ergebnisoffen“, „Konsens“, „Dringlichkeit“ oder „Einbindung internationaler Experten“ unter Einbindung irgendwelchen sprachlichen Kleisters zusammenfügen, und schon entstehe beim Wahlvolk der Eindruck von Wissen, Erfahrung und Kompetenz. Und leider scheinen sie damit sogar Recht zu haben.
Mit diesem kleinen Sprachkurs unserer Regierungschefin könnte man es für heute bewenden lassen, wenn nicht auch auf der Politik-Seite Formulierungen von Merkelschem Format zu lesen wären: „Wenn Mimik und Sprache eines Menschen in schicksalhaften Momenten nicht in Deckung zu bringen sind, ist oft das dicke Ende nah. So betrachtet, hatte Dieter Althaus sich schon am Montag aus dem Machtspiel genommen, als er gemeinsam und doch allein mit den Ministerpräsidenten-Kollegen aus dem Saarland und Sachsen an der Seite von Angela Merkel zur Wahlnachlese antrat.“ Versteht das jemand? Das mit der Mimik und den schicksalhaften Momenten, und vor allem das mit dem Machtspiel, gemeinsam und doch allein? Naja, wenigstens ist das Ende nah, wie Weltuntergangspropheten zu prophezeien pflegen, auch wenn sie nicht das dicke Ende meinen, das gemeinhin noch nach kommt, wenn man schon glaubt, das Gröbste sei bereits überstanden.
Das scheint nun zumindest für die heutige Ausgabe überstanden, auch wenn hier noch ein dickes Ende nah ist: „Für Einenkel schwebt über diesen Überlegungen ein Damoklesschwert“, steht im „Magna-Mantra“ von der Wirtschaftsseite. Ein schönes Ende! Wenn man einmal davon absieht, das ein Damoklesschwert nicht schwebt, sondern hängt, und zwar nur gehalten von einem dünnen Rosshaar, und dass es nicht über Überlegungen hängt, sondern über dem Kopf.
So liest es sich leider wie eine schallende Ohrfeige, zumindest für alle, die gutes Deutsch gelehrt wurde, bevor ihnen die WAZ und die Kanzlerin besseres lernten – unter Einbindung internationaler Experten, die einen Konsens über die Dringlichkeit herstellen, eine ergebnisoffene Erkundung führen zu müssen, um die Eignung des Karrens zu entscheiden, den sie aus der Krise ziehen wollen.