Schon der Aufmacher überrascht uns mit einer interessanten Formulierung: „Die Vorschläge, die am Dienstag im Landeskabinett beraten werden sollen, sind brisant, nicht nur, weil der Wahlkampf heraufzieht.“ Was man bisher nur vom Gewitter kannte, vermag nun auch eine simple politische Veranstaltung. Man mag mich jetzt gerne wieder der Pingeligkeit zeihen, aber Wahlkämpfe ziehen nicht herauf. Die kündigen sich an, beginnen oder befinden sich meinetwegen sogar im Anzug, wenn man unbedingt an etwas ziehen will.
Die „intelligente Autobahn“ am Ende des Artikels wollen wir nicht weiter kommentieren und uns lieber der Seite 2 zuwenden, weil hier noch schönere Formulierungen zu finden sind. Nicht nur „SPD und Grüne, die Atom-Ausstiegler …“, sondern auch so etwas wie das Folgende: „NRW: Allenfalls Mittelmaß bei der Forschung, sagt Dahrendorfs Kommission ungeschminkt.“ Unerhört, das niemand Dahrendorfs Kommission geschminkt hat, wo sie doch vor Kameras treten musste! Nicht, dass sie noch total blass ausgesehen hat, als sie vielleicht die ungeschminkte Wahrheit sagen wollte!
Ein bisschen drollig ist dagegen der Satz ein paar Zeilen weiter: „Ganz einfach: Weil embryonale Stammzellen ganz neue Therapiemöglichkeiten eröffnen könnten für bislang unheilbare Krankheiten: Parkinson, Alzheimer, Herz-Klabaster.“ Drollig nicht nur wegen der doppelten Doppelpunkte oder des falschen Bindestrichs, sondern auch wegen dieser furchtbaren Krankheit namens Herzklabaster, welche wahlweise Herzklopfen, Herzrhythmusstörung oder auch Herzinfarkt bedeuten kann. Eine unheilbare Krankheit ist es jedoch in keinem Fall, und man fragt sich, welcher Teufel einen Chefredakteur reitet, damit jener Parkinson, Alzheimer und den – wenn überhaupt – nur umgangssprachlich möglichen Herzklabaster in einem Atemzug nennt. Wollte er zynisch sein oder besonders witzig? Oder wollte er nur überprüfen, ob seine Artikel überhaupt gelesen werden?
Zumindest setzt er noch einen drauf: „Müsste man den … Kommissionsbericht in die politische Gesäß-Geographie von links nach rechts einordnen, man käme auf: durchweg liberal.“ Ich käme da eher auf: Arsch?
Aber ich bin ja nicht die entscheidende Instanz, wenn ich auch manchmal so tue. Lesen wir also lieber weiter: „Richtig gerungen haben sie in der Kommission, wie man hört, über die Integrationspolitik …“ Aha, über die Politik wird gerungen! Wieder einmal ein kreativer Einsatz der Universalpräposition. Aber warum auch nicht: Worüber man streiten kann, kann man doch sicher auch ringen!
„Ob ein vertieftes Europa so überhaupt noch eine Chance hätte?“ werden wir gegen Ende des Artikels gefragt, und wir würden ja auch gern mit darüber nachdenken, wenn wir nur wüssten, was eigentlich sein soll: ein vertieftes Europa. Die Niederlande und ein bisschen drumherum?
Tja, und dann haben wir am Ende noch eine Formulierung, die irgendwie rätselhaft ist: „Die Flexibilität, das Mantra der Globalisierer, die allseitige Verfügbarkeit nicht nur von Kapital, sondern auch von Menschen, wird glasklar als Zumutung verstanden. Das ist neu. Und ermöglicht auch globalisierten Existenzen, in, sagen wir, Hattingen oder Herne weiterzuwohnen, wenn der Weltmarkt mal wieder zuschlägt.“ Also: Wenn der Weltmarkt mal wieder zuschlägt: Keine Sorge, denn dann dürfen globalisierte Existenzen weiter in Hattingen wohnen, weil das Mantra der Globalisierer glasklar als Zumutung verstanden wird.
So etwas kann man doch eigentlich nur schreiben, wenn man Herzklabaster hat – oder ungeschminkt über den heraufziehenden Wahlkampf ringt.
Wenden wir uns der Rhein-Ruhr-Seite zu. Hier steht im schönsten Denglisch: „Vier Jahre sind seit dem Überfall vergangen. Henriette B. traut sich immer noch nicht, zur Bank zu gehen, um Geld abzuheben. Auf der Straße glaubt sie immer wieder, ein Gesicht, eine Figur zu erinnern.“ Im Englischen ginge das: „Remember the time“. Aber im Deutschen ist das Verb reflexiv, deshalb müsste es heißen: „Auf der Straße glaubt sie, sich an ein Gesicht zu erinnern“.
Im nächsten Absatz wurde die Rentnerin „… vom Angriff hinterrücks völlig überrascht“, was mich jetzt ein bisschen überrascht, wenn auch nicht völlig hinterrücks bzw. hinterrücks völlig.
Aber wie hinterrücks die Überraschung auch gewesen sein mag: „Ihre hochbetagte Mutter will eigentlich kein Aufheben um ihre Person machen.“ Das wiederum kann ich nachvollziehen, weil man normalerweise nicht viel Aufhebens um etwas machen will.
Also blättern wir um und schauen, was die Politik-Seite heute bietet. „Björn Böhning, Wortführer der SPD-Linke …“ lesen wir da und fragen uns, warum er nicht Wortführer der SPD-Linken sein darf.
Liegt es vielleicht daran, dass „Steinmeier … nach 20 Minuten die Debatte mit einer Formulierung abgebunden“ hat? Allerdings müssen wir uns jetzt fragen, warum der Kanzlerkandidat die Debatte nicht einfach abgebrochen hat, wie es jeder andere an seiner Stelle getan hätte. Zumindest jeder, der sie nicht unterbunden hätte.
Wie auch immer – es wird noch ein bisschen rätselhafter: „Böhning nickte brav. Wie der gesamte Entwurf wurde auch dieser Passus einstimmig verabschiedet. Sie hatten dem Kandidaten allenfalls ein Machtwörtchen abverlangt.“ Wer war das? Die Einstimmigen oder die Böhnings?
Egal, Steinmeier kriegt das schon hin, „darum halte er sich für das Amt ‚für geeignet’…“ Genau, denn halten wir uns nicht alle für Vieles für geeignet? Viele Journalisten ja sogar fürs Schreiben für!
Doch kommen wir nun endlich zur Wirtschaftsseite, denn hier “ … müssen die Unternehmen wieder Ausblicke abgeben“, wie uns eine Unterzeile verrät. Und das auch noch „mit Blick auf die geknickte Forscherehre“, die uns sogar noch in einer Zwischenüberschrift angekündigt wird. Nur: Wie knickt man eine Ehre? Man kann sie jemandem erweisen oder jemanden bei ihr packen, man kann sie sogar abschneiden. Aber knicken? Da gibt es höchstens Leute, die geknickt schauen. Vielleicht, weil sie in ihrer Ehre gekränkt wurden. Ansonsten kann man sich diesen Ausdruck knicken.
Überschrieben ist dieser Artikel mit „Prognosen müssen sein“ und als ich das sah, habe ich mich direkt gefragt, wann ich denn von den ersten „Prognosen über“ lesen muss. Vielleicht schon im ersten Absatz? Weit gefehlt! Hier heißt es noch ganz richtig: „Die staatlich finanzierten Wirtschaftsforscher verweigerten eine Prognose für die Entwicklung im kommenden Jahr.“ Aber im zweiten Absatz, hier heißt es: „Auch sie sind in diesem Jahr sehr vorsichtig mit Prognosen über den voraussichtlichen Geschäftserfolg.“ Und schon hat sich die Universalpräposition mal wieder durchgesetzt.
Macht ja nichts, es gibt Schlimmeres. Im folgenden Absatz steht zu lesen: „Ihr Geschäftserfolg ist auch in schlechten Zeiten unsicheren Zeiten sehr gut planbar.“ Ist das eine neue Soap bei RTL? Also sowas wie GZSZ, jetzt aber SZUZ?
Aber das kann eh nicht jeder gucken; so sind „die Dax-Gesellschaften … verpflichtet, einen Ausblick auf das laufende Geschäftsjahr zu werfen.“ Dabei hätte es gereicht, einen Blick zu werfen, auf der anderen Seite hätte man sich einen Ausblick gestatten können.
Aber vielleicht war das „angesichts der Krise und der unerwartet starken Rückgänge bei Nachfrage und Umsätzen …“ ein bisschen viel verlangt, zumal mir ein einfacher Rückgang, der ohnehin keinen Plural kennt, gereicht hätte.
„Dennoch ist der Verzicht auf Prognosen für Investoren nicht dauerhaft annehmbar“, heißt es weiter, was irgendwie einleuchtend ist, da es richtigerweise „hinnehmbar“ heißen müsste.
Und nun geht der Artikel langsam auf sein wohlverdientes Ende zu, aber vorher müssen wir noch Folgendes lesen: „Die Ausgabe von Zielen für das laufende Geschäftjahr gehört wie Quartalsberichte oder Ad-Hoc-Meldungen zum Grundinstrumentarium, mit der Privatanleger Qualität und Aussichten ihres Investments überprüfen können.“ Ja, wenn es denn die Ausgabe von Zielen gewesen wäre, mit der Privatanleger ihre Aussichten überprüfen, dann wäre „der“ richtig gewesen. Wäre! Aber leider handelt es sich eindeutig um das Instrumentarium, mit dem die Anleger prüfen können.
Und das sollten sie auch tun, denn „die Aktien der Firmen, die ihre Ziele verfehlen, fallen wie Steine vom Börsenhimmel.“ Das ist überraschend, bislang sah man allenfalls Sterne vom Himmel fallen. Die sind zwar phonetisch ähnlich, aber letztendlich doch recht anders. Hauptsache, sie knicken keine Journalistenehre, während man einen Ausblick darauf wirft.