WAZblog Waz man seinen Lesern eigentlich nicht zumuten sollte …

12. März 2009

Mitreißende Formulierungen

Filed under: Allgemeines — msteinmen @ 21:22

Vielleicht sollte ich heute mal eine Lanze für die Printmedien im Allgemeinen und die WAZ im Besonderen brechen. Denn es ist der Tag des Amoklaufs in Winnenden und bei Ereignissen wie diesem flippen in den TV-Anstalten alle Reporter aus, was dann zu sprachlichen Amokläufen führt. So wird man Zeuge folgender Äußerungen:
„Was glauben Sie … äh … wird die Schulbehörde nun tun? Wird man die Schule schließen?“
„… damit nicht weitere Opfer vor die Waffen des Tatverdächtigen geraten“
„… mit Waffen bewaffnet“
„Es kann und darf nicht sein, dass auf so skrupellose und menschenverachtende Weise die Gefühle der trauernden Angehörigen mit Füßen getreten werden“
„… dass sich hier Stunden voll panischer Angst abgespielt haben müssen“
„Wir haben erschreckende Opfer gesehen“
„Es heißt sogar, dass der Täter hier noch um sich springen könnte“
Und schließlich: „Ein Meer von Fragen liegt offen da“ – und das kann ich nur bestätigen.

Bei der WAZ sind solche sprachlichen Entgleisungen erstaunlicherweise nicht zu finden. Die Berichterstattung zu dem Thema ist nahezu fehlerfrei, sieht man von einem kleinen Ausrutscher im Titelseiten-Kommentar ab: „Ist das wirklich möglich, dass er hier aufgewachsen ist, der Junge, der 15 Menschen erschoss, hier, zwischen gepflegten Vorgärten und blitzsauberem Bürgersteig?“ Entschuldigung, aber der Junge mag hier aufgewachsen sein, zwischen den Vorgärten und dem Bürgersteig (was ja auch schon ein bisschen gewöhnungsbedürftig wäre), hat aber nicht hier um sich geschossen, sondern in der ehemaligen Schule.

Das heißt aber nicht, dass ansonsten alles O.K. ist. Auf der Wirtschaftsseite befindet sich eine fette Headline: „Opel-Pleite würde 200 Lieferanten mitreißen“. Ein wirklich mitreißende Formulierung! Nur wüssten wir gern, wohin. Im Artikel erfahren wir es auch: „in den Abgrund“ nämlich. Was aber etwas anderes ist als mitreißend.
Danach spricht ein „Autoexperte“ und erklärt uns, „dass strategische Teile ausfallen“. Worunter ich mir allerdings nicht viel vorstellen kann: Was sind beim Auto oder bei Opel-Modellen strategische Teile? Die Räder? Der Motor?
Und auch das hier, was uns der Experte verkündet, verstehe ich nicht: „Jetzt wird das System betroffen“, spricht er und laut WAZ ist das eine „Analyse“.
Da wende ich mich etwas betroffen ab und lese als Nächstes: „Als ‚unverantwortbar‘ verurteilt Papke eine solche Aussage“, was ich aber eher unverantwortlich finde.

In einer kleinen Meldung daneben erfahren wir dann, dass „trotz höherem Umsatz … der Gewinn der Lufthansa 2008 gesunken“ ist, und ich verkneife mir (fast) den Hinweis darauf, dass der Gewinn trotz höheren Umsatzes gesunken ist, weil ich erst gestern auf den Genitiv nach trotz hingewiesen habe und hier eh niemand auf mich hört.

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