Heute habe ich Geburtstag, und die WAZ beschenkt mich mit derartig vielen sprachlichen Ausrutschern, dass ich kaum nachkomme…
Beginnen wir auf der Titelseite. Neben einigermaßen harmlosen Sachen wie: „der Sturm schaukelte den liegenden Anhänger so weit auf, dass es schien, er würde von der Brücke geschoben“, oder „… in Ruhrgebietsstädten mussten Weihnachstmärkte schließen, weil der Wind die Buden zerzauste“, finden wir im Kommentar eine Aussage, die als eine Art sprachlicher Spätzünder daherkommt. Das sind Formulierungen, deren tieferer Nicht-Sinn (oder Unsinn) sich erst nach zwei- oder dreimaligem Lesen erschließt, weil sie so haarscharf daneben sind, dass man sie beim ersten Lesen für richtig halten könnte: „Häme ist hier nicht am Platz“, ist der Kommentar überschrieben und im Text steht es dann ein bisschen verschärft noch einmal: „Häme ist hier aber nicht am Platz“.
Moment, was ist mit der Häme? Irgendwas stimmt doch hier nicht. Wieso ist die Häme nicht am Platz? Wo ist sie dann? Grübel, grübel. Aber es gibt doch eine Redensart mit „Platz“! Genau: „Häme wäre hier fehl am Platz“. Nur: Knapp vorbei ist auch daneben!
Und zwar mindestens genauso wie die Formulierung ein paar Zeilen zuvor: „Aber die Katastrophe ist handgestrickt.“ Als handgestrickt bezeichnet man mehr oder weniger schlecht gelungene Arbeiten, eine Katastrophe zählt selten dazu. Gemeint war hier wohl auch eher, dass das Trauerspiel in Essen hausgemacht war … Aber Stricken ist doch auch eine Handarbeit, also hausgestrickt hin und handgemacht her, da sind wir bei Deutschlands größter Regionalzeitung nicht kleinlich!
Und das sind wir auch nicht auf der „Welt“-Seite. Denn hier, im Artikel über Susanne Klatten, geht es um „die zentrale Frage jeglicher Zwischenmenschlichkeit„. Eine Formulierung von wahrhafter Größe!
Dahinter kann sich die Kulturseite nur verstecken: „Er hat sich auch bei wichtigen Förderern aus der Wirtschaft (…) für das Vorgehen der Stadt entschuldigte.“ Also damit kann man nun wirklich keine Furore machen und auch nicht hiermit: „Besonders im Blick auf den neuen Intendanten streckte Kaufmann die Hand aus“. Wie kommt er nun in den Blick auf den neuen Intendanten rein? Vielleicht war ja auch mit Blick auf jenen gemeint.
Mit Blicken klappt’s in dem Artikel eh nicht besonders gut: „Man wolle gemeinsam in die Zukunft blicken„. Mit einer Kristallkugel vielleicht? Ich vermute, sie wollen gemeinsam nach vorn schauen, aber sicher kann man sich da natürlich nicht sein, zumal „die unangenehme Rolle des neuen TuP-Geschäftsführers … von der Stadt bisher nicht kommentiert wurde.“ Der hat vielleicht eine undurchsichtige Rolle gespielt, wie unangenehm er auch immer aufgefallen ist.
Die schönsten Sachen stehen heute aber ohne Zweifel im Essener Lokalteil. Das beginnt noch recht zurückhaltend mit einem zurück gehaltenen Wort: „Als die beiden Frauen die Wohnung des betraten, …“ Wessen Wohnung auch immer.
Ähnlich zurückhaltend dann der Artikel über die Zeche Carl: „Damit meint er die zuletzt so verkrusteten Strukturen des soziokulturellen Zentrums, das sich zuerst als unregierbar und zuletzt als unbezahlbar erwiesen.“ Punkt.
Leider wird nun aber die Zurückhaltung aufgegeben zugunsten einer missglückten Metapher: „Der ‚Kümmerer‘ lässt beim Gang von Bord ein Schiff in deutlich ruhigerem Fahrwasser zurück als beim Dienstantritt im September.“ Das ist aber auch vertrackt mit diesem unruhigen Gewässer, das aber nichts mit einem Fahrwasser zu tun hat, in dem man sich befindet, wenn man jemandem kritiklos folgt.
Und danach wird es noch schlimmer, denn „die Lotsen … haben das Schiff über Wasser gehalten“. Vermutlich über dem Fahrwasser.
Und damit in dem vielen Wasser niemand ertrinkt, wird im zugehörigen Kommentar mit einem „kleinen Team“ gearbeitet, „um gruppendynamische Prozesse im Ansatz zu ersticken“. Leider wird das nicht funktionieren, da in einer Gruppe immer entsprechende Prozesse stattfinden, ob man sie nun im Ansatz ersticken oder im Fahrwasser ertränken will.
Das kann dem Vorstandsvorsitzenden der Essener Nationalbank nicht passieren. „In die Stimmung mischt sich immer Mehltau“, zitiert ihn die WAZ an prominenter Stelle, direkt unter der Headline. Ohne uns allerdings zu sagen, was damit gemeint ist und auch ohne diese Äußerung im eigentlichen Artikel wieder aufzunehmen. So werden wir wohl nie erfahren, wie und warum sich Mehltau (übrigens eine durch Pilze verursachte Pflanzenkrankheit) in eine Stimmung mischen kann, und dazu auch noch immer.
Den Vogel abgeschossen hat aber heute „Lupus“ (das ist eine Art feststehender Kommentar im Lokalteil), der unter der Überschrift „Schlappe für die Kulturpolitik“ fordert: „Nun müssen aber die Arme aufgekrempelt werden, denn in einem Jahr ist 2010.“
Da mischt sich jetzt sofort Mehltau in meine Stimmung und ich könnte direkt meine Ärmel aufkrempeln, wenn mir nicht schlagartig klar geworden wäre: Hier ist Häme am Platz!