WAZblog Waz man seinen Lesern eigentlich nicht zumuten sollte …

11. November 2008

Das politische Jahr wurde übermäßig verschattet, drängende Probleme verschleppt, Kinder gehören nicht in Armut, die Krise spielt in die Karten, Gemüter werden gespalten und ein OB belustigt sich über Inszenierungen

Filed under: Allgemeines — msteinmen @ 20:46

Dass manchmal bestimmte Ereignisse von anderen überschattet werden, weiß man. Durch den heutigen Kommentar auf Seite 2 jedoch sind wir schlauer, „weil das quälende Schauspiel um Andrea Ypsilanti und Roland Koch, um Wortbruch und Linkspartei, um rechte und linke SPD sowie Abweichler das zu Ende gehende politische Jahr übermäßig verschattet hat.“ Ja, warum wird denn jetzt da nicht „über“ benutzt? Wo wir es doch sonst so gern überall einbauen. Vielleicht, weil „verschatten“ dramatischer klingt. Oder auch, weil dann das zweimalige „über“ eben überzählig gewesen wäre (mal abgesehen davon, dass übermäßig hier auch schon über war).
Dabei hat die Autorin in dieser Hinsicht sonst weniger Skrupel. Zählen Sie doch einmal, wie oft im vorletzten Absatz dieses Kommentars das Wörtchen „um“ benutzt wird: „Viele treibt in dieser krisenschweren Zeit die Sorge um den Arbeitsplatz um, und dabei geht es nicht nur um das Geld, das nicht mehr zu verdienen wäre, sondern auch um den Arbeitsplatz selbst. Es geht um die tägliche Aufgabe von Menschen ebenso wie um ihre Aufgehobenheit in einer sozialen Umgebung.“ (Hier ist darüber hinaus interessant, dass man zuerst meint, viele treibe die Sorge um, während tatsächlich gesagt wird, es treibt sie die Sorge um … um)
Aber „wenn man entschlossen davon absieht“, wie es im Absatz davor heißt, dann stört das wohl nicht weiter. Genauso entschlossen sehe ich jetzt davon ab, „dass im Jahr der Bundestagswahl ein Barack Obama vom Himmel über Berlin steigt“.

Denn auf derselben Seite geschehen noch andere merkwürdige Dinge. „Die USA sind aus der Erstarrung erwacht. Drängende Probleme wurden verschleppt„, steht da recht groß in der Unterzeile des Aufmachers. Liebe USA, wenn Ihr schon aus der Erstarrung erwacht, anstatt Euch wie alle anderen daraus zu lösen, dann verschleppt wenigstens nicht die Probleme. Wie, habt Ihr gar nicht? Ihr habt nur die Lösung verschleppt?
Schlimm genug, „doch auch da zeigt sich nun, dass die Panikpakete, die der Kongress mit den Stimmen beider Parteien auf den Weg brachte, allzu hektisch gepackt worden sind.“ Na fein. Jetzt haben wir neben den Rettungsschirmen (und -paketen) auch noch die Panikpakete. Jetzt warte ich noch auf die Panikschirme. Und, wie man selbige auf den Weg bringt, das wüsste ich auch gern.

Auf der Politik-Seite (unter der Überschrift „Linkspartei will Unruhe stiften“) haben wir dann die Frau van Dinther, ihres Zeichens Landtagspräsidentin (hab ich auch nicht gewusst), die auf die Frage, ob es in Deutschland sozial ungerechter geworden sei, Äußerungen von sich gibt, wie: „Das ist eher gefühlt so.“ Ist das Deutsch? Gefühlt eher nicht.
Und kurz danach bemerkt sie: „Kinder gehören nicht in Armut.“ Ich bin ja fast dankbar, dass sie nicht gesagt hat: „Kinder gehören nicht in Armut hin“. Denn das hätte mich all zu sehr an den schönen Vers erinnert: „Alkohol und Nikotin gehört nicht nach der Schule hin“.

Kommen wir zur Wirtschaft. Hier „fragt (man) sich, wie viele Jahre die Wirklichkeit noch braucht, um die Rituale zu entzaubern. Oder braucht es einen Streik, sie aufzufrischen?“ Vor allem frage ich mich, wie Rituale überhaupt entzaubert werden können, wie die Wirklichkeit das erledigen soll und wie ein Streik sie auffrischen könnte.
Und nicht zuletzt frage ich mich, „wie sehr sie (die IG Metall) in der Defensive steht.“ Ich wusste nämlich bisher noch gar nicht, dass man in da drin auch stehen kann …
Ein paar Zeilen weiter folgt dann etwas, wofür ich noch keinen richtigen Begriff habe: Das Zusammenziehen von zwei Redewendungen oder Ausdrücken zu einem. Ein sprachliches Phänomen, das die WAZ hegt und pflegt, so dass man es den „doppelten WAZberger“ nennen könnte. „Den Arbeitgebern spielt die Krise in die Karten“. Redewendung 1: Jemand guckt jemandem in die Karten. Redewendung 2: Jemand (oder etwas) spielt jemandem in die Hände. Waz-Double: Man spielt in die Karten. Toll, nicht wahr?

Auf der Sportseite „hat sich mittlerweile ein explosives Gemisch aus frustrierten Fanseelen und einem gekränkten Präsidenten auf Liebesentzug gebildet, das die Wedau flächendeckend zum Pulverfass macht.“ He, das ist mal was! Ein Gemisch aus Seelen und Präsidenten wird zum Pulverfass. Und auch noch flächendeckend!

Sensationelle Erkenntnis auf der Seite WAZ-Extra: „Tsunamis gab es schon in der Antike“. Und ich dachte immer, sie wären eine Folge des CO2-Ausstoßes oder der Atomkraftwerke!

Auf der Essener Lokalseite ein kleiner Skandal: „Der Start des neuen Essener ‚Ring des Nibelungen‘ spaltet die Gemüter.“ Das hätte jetzt ein weiterer schöner WAZberger werden können, wenn sich wenigstens die Geister spalten könnten. Leider können die sich aber nur an irgendwas scheiden, während sich die Gemüter erhitzen.
Außerdem hat da der Essener Oberbürgermeister auch noch ein Wörtchen mitzureden: „Ich belustige mich eher über solche Inszenierungen …“ Allerdings kann man sich höchstens über solche Inszenierungen lustig machen oder belustigt sein, und dann am besten ohne Präposition, zumindest aber nicht schon wieder „über“! Sonst ist die deutsche Sprache übermäßig verschattet, wenn nicht gar verschleppt und ich muss mich gar über das Ganze belustigen!

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