WAZblog Waz man seinen Lesern eigentlich nicht zumuten sollte …

27. Dezember 2008

Strapazierfähiger Leidensdruck

Filed under: Allgemeines — msteinmen @ 21:35

Auf der Titelseite (und später noch einmal auf der Politik-Seite) gibt der Landesfinanzminister eine äußerst bedeutsame Äußerung von sich: „Viele Instrumente, die der Bund zur Belebung der Konjunktur beschließt, müssen zu großen Teilen von den Ländern bezahlt werden. Da ist unser Leidensdruck nur begrenzt strapazierfähig.“
Ich bin sicher, er wollte damit auch etwas äußerst Bedeutsames ausdrücken, die Frage ist nur: Was?
Wenn man versucht, aus dieser Aneinanderreihung mehr oder weniger bedeutungstragender Laute so etwas wie Sinn heraus zu filtern, erhält man Folgendes: Wir leiden. Mehr noch: Wir haben Leidensdruck. Allerdings ist der strapazierfähig. Jedoch nicht unbegrenzt.
Mein Leiden ist, gerade angesichts solcher Sprachkonstruktionen, recht groß. Dadurch verspüre ich einen Leidensdruck. Als der schließlich zu groß wurde, musste ich mich mit diesem Blog outen. Doch kann man diesen Leidensdruck strapazieren? Und wenn, wie? Und was passiert dann?
Ich verheddere mich, tut mir leid. Aber ich wollte ja nur herausfinden, was unser Finanzminister eigentlich Bedeutsames sagen wollte. Ähem, vielleicht das hier: Unser Land leidet schon genug, mehr ist nicht drin. Aber warum erzählt er dann was von strapazierfähigem Leidensdruck? Das werden wir wohl nie herausfinden, fürchte ich.

Auch, was wir heute wieder aus Bangladesh bzw. von der Spendenaktion erfahren, ist schwer verständlich. „Morgens steigt Gisele ihrem eigenen Haus aufs Dach“, steht da, und man weiß nicht, ob es in Kenntnis oder Unkenntnis der Redensart geschrieben wurde, die soviel bedeutet wie: jemanden unter Druck setzen, zurechtweisen. Im ersten Fall wäre es reichlich daneben, im zweiten schlicht beknackt.
Und im nächsten Absatz kommt dann eine Reihung, die mich verwirrt: „650 neue Quadratmeter werden die behinderten Kinder von Recife dann haben, für Physiotherapie, Speisesaal, Unterricht.“ Und im Nachbarhaus gibt es Fläche für Radiohören, Toilette, Beten. Oder wie?
Aber die merkwürdigen Verbindungen gibt es auch an anderer Stelle: „Und überhaupt, Gisele: Vor 21 Jahren gab ihre Geburt den Anlass, die Hilfsorganisation zu gründen … Heute ist sie Vize-Präsidentin des Projekts, seine „Vorzeige-Frau” und im Frühjahr eingeladen zum Jubiläum der Kindernothilfe nach Deutschland.“ Und ich bin Kritiker und im Winter eingeladen zur Weihnachtsfeier. Das druck ich mir auf die Visitenkarte!
Dafür ist eins „kaum zu glauben, aber in diesen Tagen haben sie im Kindergarten … schon zum zweiten Mal Weihnachten gefeiert.“ Wirklich! Denn wir haben in diesen Tagen nur einmal Weihnachten gefeiert. Wie machen die das?
Wahrscheinlich so: „Sie legen hier immer viel Wert auf solche Feste, auch jeder Geburtstag wird mit viel Liebe begangen, und das Pfannkuchenfest.“ Das leuchtet ein! Bei uns wird auch jede Party mit Musik begangen, und das Bierzelt! Wenn das Deutsch ist, lebe ich offenbar in einem anderen Land.
Und überhaupt: Ich. Ich habe da noch ein Problem mit der Formulierung im nächsten Absatz: „Das Virus … wird im Gesundheitspass vermerkt, Kindergärten nehmen die Kleinen damit nicht auf, selbst Schulen schließen lieber ihre Tore.“ Weil ich davon ausgehe, dass Fabriken, Institutionen u.ä. , die ihre Tore schließen, ihren Betrieb einstellen, dicht machen, ja sogar pleite sind. So zumindest unterstellt es die entsprechende Redensart.
Am Ende des Artikels haben wir dann noch einen Satz, den ich nicht mehr kommentieren möchte: „Die 100 000 Euro sind noch nicht ganz geschafft – aber für das neue Haus, das auch diese halben Kinder, die ungewollt geschwängert wurden, sich so dringend wünschen, brauchen wir noch viel mehr.“
Denn dann könnte ich der WAZ-Autorin aufs Dach steigen und die Tore schließen. Zumal mein Leidensdruck nur begrenzt strapazierfähig ist.

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